Geschäftszahl
7Ob21/06y

Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert K*****, vertreten durch Dr. Bernhard Krause, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W***** Versicherung AG, ****, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 145.345,67 sA und Rente (Streitwert EUR 36.000), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 21. Oktober 2005, GZ 4 R 45/05z-14, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 30. Dezember 2004, GZ 20 Cg 124/04w-10, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 11.499,52 (darin enthalten EUR 854,75 an USt und EUR 6.371 an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text
Entscheidungsgründe: Zwischen den Parteien besteht ein Unfallversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 1998) zugrundeliegen. Diese lauten:

„Artikel 6 Was ist ein Unfall?

6.1. Unfall ist ein vom Willen der versicherten Person unabhängiges Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkt und eine körperliche Schädigung oder den Tod nach sich zieht. ...

6.3. Krankheiten gelten nicht als Unfälle, übertragbare Krankheiten auch nicht als Unfallfolgen. Dies gilt nicht für Kinderlähmung, die durch Zeckenbiss übertragene Frühsommer-Meningoencephalitis und eine Meningopolyneuritis aufgrund einer durch Zeckenbiss ausgelösten Borrelioseerkrankung im Rahmen der Bestimmungen des Art 12 sowie für Wundstarrkrampf und Tollwut, verursacht durch einen Unfall gemäß Punkt 6.1. ...

Artikel 18 ...

18.3. Haben Krankheiten oder Gebrechen, die schon vor dem Unfall bestanden haben, die Unfallfolgen beeinflusst, ist die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens zu kürzen, sofern dieser Anteil mindestens 25 % beträgt." Der Kläger wurde am 6. 8. 2003 von einer Wespe gestochen und erlitt dadurch einen anaphylaktischen Schock, der zu einer prolongierten Reanimation führte. Ein anaphylaktischer Schock ist das lebensbedrohliche Maximalstadium der Allergie vom Typ I mit Schocksymptomatik unmittelbar (Sekunden bis Minuten) nach Allergenkontakt (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch260, 1641). Allergie ist die angeborene oder erworbene spezifische Änderung der Reaktionsfähigkeit des Immunsystems gegenüber körperfremden, eigentlich unschädlichen und zuvor tolerierten Substanzen, die als Allergen erkannt werden (Pschyrembel aaO, 47). Der Kläger begehrt aus dem Unfallversicherungsvertrag den Klagsbetrag und die Bezahlung einer monatlichen Rente, da durch diesen Vorfall bei ihm eine diskrete Resthemiparäse links und ein als mittelgradig einzuschätzendes organisches Psychosyndrom eingetreten sei. Daraus ergebe sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw Invalidität im Sinne der Bedingungen von 50 %. Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, dass kein Versicherungsfall vorliege, da eine allergische Reaktion eine von der Norm abweichende krankhafte Reaktion eines menschlichen Körpers und damit eine Krankheit gemäß Art 6.3. der Versicherungsbedingungen sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, da eine allergische Reaktion eine von der Norm abweichende, krankhafte Reaktion des menschlichen Körpers sei und eine Krankheit nach Art 6.3. der Bedingungen keinen Versicherungsfall darstelle.

Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es vertrat die Rechtsansicht, dass nach der deutschen Rechtsprechung und Lehre, der sich auch der Oberste Gerichtshof angeschlossen habe, der Biss oder Stich eines Tieres (etwa eines Insektes) unter den in den deutschen AUB 1961 bzw AUB 1994 ähnlich definierten Unfallbegriff falle. Hier handle es sich jedoch im Unterschied zur Entscheidung 7 Ob 20/94 nicht um eine Infektionskrankheit, sondern um einen anaphylaktischen Schock, der aufgrund einer beim Kläger bestehenden Wespengiftallergie eingetreten sei. Der Wespenstich sei adäquat mitursächlich für die eingetretene Gesundheitsschädigung gewesen. Der Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschädigung entfalle nicht, wenn noch andere Ursachen, insbesondere körperliche Anlagen, Gebrechen und Krankheiten den Schaden beeinflusst oder erst ermöglicht hätten. Führten die unfallabhängige und die unfallunabhängige Kausalreihe gleichzeitig zum Gesundheitsschaden, so sei der Anteil der beiden Kausalreihen nach § 8 AUB 88/94 bzw § 10 Abs 1 AUB 61 zu berücksichtigen. Eine im Wesentlichen gleichlautende Bestimmung enthalte der Versicherungsvertrag, dem die AUVB 1998 zugrunde lägen (Art 18.3.), wonach in diesem Fall die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens zu kürzen sei, sofern dieser Anteil mindestens 25 % betrage. Ob eine Wespengiftallergie unter diesen Krankheitsbegriff zu subsumieren sei, sei von der deutschen Rechtsprechung unterschiedlich gelöst worden. Der Wespenstich sei grundsätzlich als Unfall zu werten. Ob es zu einer Leistungskürzung gemäß Art 18.3. AUVB 1998 komme, hänge davon ab, ob beim Kläger eine behandlungsfähige und behandlungsbedürftige Sensibilisierung und Bereitschaft für eine Insektengiftallergie vorgelegen sei. Dies habe das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens festzustellen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, da zur Frage, ob ein Wespenstich (in Verbindung mit einer vorbestehenden Wespengiftallergie) ein Unfall im Sinn des Art 6 AUVB 1998 sei und ob und in welchem Ausmaß bejahendenfalls eine Leistungskürzung nach Art 18.3. der AUVB 1998 vorzunehmen sei, oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle. Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, in eventuell ihm nicht Folge zu geben.

Rechtssatz
Der Rekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt. Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits in der Entscheidung 7 Ob 20/94 (VersR 1995, 987 = VR 1995, 60 = VersE 1614) zu den AUVB 1965 mit der Frage auseinandergesetzt, ob die durch einen Zeckenbiss hervorgerufene Infektionskrankheit als Unfall zu werten sei. Es wurde die Ansicht vertreten, dass der Biss oder Stich eines Tieres (auch eines Insektes) der deutschen Rechtsprechung und Lehre folgend als Unfall betrachtet werden könnte, dass aber durch die demonstrative Aufzählung zum Begriff „Krankheiten aller Art" in Art 2 Z 3 lit a AUVB 1965 klargestellt sei, dass die durch Insektenbiss oder Insektenstich übertragenen Infektionskrankheiten keine Unfälle seien und daher nicht vom Versicherungsschutz umfasst seien. Infektionskrankheiten fielen, unabhängig davon, wie die Infektion erfolgt sei, grundsätzlich nicht unter den Versicherungsschutz. Anders sei es nur bei nicht primären Wundinfektionen und sonstigen durch die Unfallverletzung erst in weiterer Folge ausgelösten Krankheiten. Dazu komme, dass bei der Definition des Unfallbegriffes in den Bedingungen noch das Wesenselement der „mechanischen" Einwirkung enthalten sei, während die vergleichbaren deutschen Bedingungen diese Einschränkung nicht mehr vorsähen. Bei der Übertragung einer Krankheit durch Insektenbiss werde der Betroffene nicht durch die mechanische Einwirkung, nämlich den unter Umständen kaum merkbaren Biss, sondern durch das damit unmittelbar bewirkte Eindringen von Krankheitserregern in seinen Körper geschädigt. Das Erfordernis der „mechanischen" Einwirkung spreche daher umso mehr dafür, dass die unmittelbar durch den Zeckenbiss erfolgte Infektion und die daraus resultierende Erkrankung nicht unter den Unfallbegriff und auch nicht unter den Begriff jener Erkrankungen falle, die erst infolge eines Unfalls entstünden. Dieser von der Entscheidung erwähnte Unterschied der Bedingungslage zwischen Deutschland und Österreich besteht auch in diesem Rechtsstreit. Nach der hier vereinbarten Bedingungslage wurde der Begriff des Unfalls in Art 6.1. AUVB 1998 insoferne erweitert, als das vom Willen der versicherten Person unabhängige plötzliche Ereignis von außen mechanisch oder chemisch auf den Körper einwirken muss. Im vorliegenden Fall erlitt der Kläger einen Wespenstich und nur aufgrund seiner persönlichen Konstitution, nämlich Allergie gegen das von der Wespe injizierte Gift, in der Folge einen anaphylaktischen Schock, der zur körperlichen Schädigung führte. Die körperliche Schädigung entstand daher - im Sinn der AUVB - nicht durch eine mechanische Einwirkung, nämlich durch den unter Umständen kaum merkbaren Stich (vgl 7 Ob 20/94), und auch nicht durch das von außen in den Körper injizierte Wespengift, das an und für sich keine besondere schädigende Wirkung auf den Körper hat. Der Schockzustand trat ausschließlich durch die spezifische körperliche Konstitution(Allergie) des Klägers ein. Da also der Wespenstich in der vorliegenden Fallgestaltung weder als ein von außen auf den Kläger einwirkendes mechanisches noch chemisches Ereignis im Sinne des Art 6 AUVB 1998 aufzufassen ist, das zu einer körperlichen Schädigung führte, kann hier nicht von einem Unfall gesprochen werden. Ein Ausnahmefall im Sinne des Art 6.3 der AUVB 1998 liegt nicht vor. Es war daher das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen und das Klagebegehren mangels Versicherungsdeckung abzuweisen. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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